BLACKOUT – die Schweizer Stromversorgung in der Krise?

Die Schweiz ist keine Insel, sondern von Stromimporten aus dem EU-Ausland besonders im Winter abhängig. Nun kämpfen diese Länder mit ihren eigenen Energiekrisen. Diese sind nur teilweise auf aktuelle Ereignisse in der Welt zurückzuführen, und oft sind sie selbst verschuldet. In unserem Doppelinterview sprechen zwei aus- gewiesene Fachpersonen über den aktuellen Stand der Schweizer Stromversorgung, über Risiken und Prob- leme, aber auch über die Auswege aus dieser Krise. Letztere bestehen für die Schweiz kurz- und mittelfristig im massiven und beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und dazu passender Speicherlösungen.

Im Doppelinterview mit Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), und Andy Heiz, stellvertretender CEO der Axpo Holding AG, über den aktuellen Stand der Stromversorgung in der Schweiz und über Wege zu mehr Versorgungssicherheit.

Michael Frank (AES): Nein, es bedeutet nicht automatisch, dass es zu flächendeckenden, weitreichenden Stromausfällen kommt. Die kurzfristige Betrachtung ist, dass der Krieg in der Ukraine Europa in eine Energiekrise katapultierte, wodurch das Risiko einer Strommangellage in diesem Winter real und gross geworden ist. Mittelfristig, ab 2025, wird es so sein, dass sich die EU-Staaten gegenseitig bevorzugen, wenn es um den grenzüberschreitenden Austausch und Handel mit Strom geht. Mindestens 70 Prozent der Kapazitäten im Stromnetz stellen sie sich dann untereinander für Stromimporte und -exporte zur Verfügung. Das bedeutet, dass für die Schweiz die Importmöglichkeiten geringer werden könnten. Gerade im Winter, wenn die Schweiz traditionellerweise auf Stromimporte angewiesen ist, dürfte die neue EU-Regelung zu spüren sein. Das Dringliche – nämlich ein massiver und schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien – ist dadurch nur noch akuter geworden.

Andy Heiz (Axpo): Wir müssen zwei verschiedene Zeithorizonte unterscheiden. Kurzfristig, also für den kommenden Winter, haben die Risiken in den letzten Monaten tatsächlich zugenommen. Wir haben stillstehende Kernkraftwerke in Frankreich, absehbar tiefe Füllstände der Schweizer Speicherseen und den Krieg in der Ukraine. Das alles zählt zu den Gründen, warum es knapp werden könnte. Abhilfe sollen verschiedene kurzfristige Massnahmen schaffen. Dazu zählt etwa die Wasserspeicherreserve, in deren Rahmen ein Teil des Wassers in Speicherseen für Notfälle zurückbehalten werden soll. Axpo, als grösste Wasserkraftproduzentin der Schweiz, begrüsst diese Massnahme.

Was die lange Frist angeht, so sind wir leider schon seit geraumer Zeit auf einem Pfad, der uns in eine Strommangellage zu führen droht. Dann nämlich, wenn die Schweizer Kernkraftwerke wegfallen und bis dahin der Ausbau der Erneuerbaren weiterhin so langsam vorankommt. Die Stromnachfrage wächst aber stetig, und die Unsicherheiten beim Stromimport aus anderen Ländern steigen. Axpo weist seit Langem auf die Problematik hin und hat entsprechende Rezepte aufgezeigt. Wir sind bereit, weiterhin unseren Beitrag zu leisten. Der Ball liegt jetzt aber beim Parlament. Die Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass Investitionen in erneuerbare Energie attraktiver und Bewilligungsverfahren schneller und effizienter werden.

Michael Frank (VSE): Es stimmt schon, dass wir immer effizienter werden, und das ist auch gut so. Dadurch ist der Endverbrauch in den letzten Jahren konstant geblieben. Er lag 2021 bei 58,1 Terawattstunden. Der Stromverbrauch wird aber in den nächsten Jahren zwangsläufig zunehmen. Das liegt insbesondere an der Elektrifizierung von Mobilität, Wärme und der Industrie. Das ist eine Notwendigkeit, will die Schweiz ihre Klimaziele erreichen: CO2-Neutralität bis 2050. Dieser Mehrbedarf an Strom setzt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion voraus. Hinzu kommt, dass die heutige Stromproduktion der Kernkraftwerke in den nächsten 10 bis 15 Jahren zusätzlich durch erneuerbare ersetzt werden muss, weil die Kernkraftwerke in dieser Zeit vom Netz gehen.

Andy Heiz (Axpo): Es trifft beides zu. Energieeffizienzmassnahmen sind fraglos wichtig, und es gibt sicher noch viel Luft nach oben. Doch der Bedarf wird trotzdem weiter steigen, insbesondere aufgrund der Umstellung von Heizungen und Fahrzeugen auf Strom und auch im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung. Auf der anderen Seite nimmt aber gleichzeitig die Produktion ab, vor allem durch den Wegfall der Kernkraft. Obendrein drohen Verluste bei der Wasserkraft aufgrund höherer Umweltvorschriften. Insgesamt gehen wir bei Axpo davon aus, dass die Schweiz bis 2050 rund 50 Terawattstunden zubauen muss. Das ist mehr, als die gesamte Wasserkraft heute produziert. 

Michael Frank (VSE): Die Schweizer Stromversorgung stützt sich auf einen hohen Anteil an Eigenstromproduktion, aber wir benötigen auch den Energieaustausch mit dem Ausland. Insbesondere im Winter ist die Schweiz auf Importe angewiesen. Durch die europäische Energiekrise verschärft sich das Winterstromproblem, weil die Importmöglichkeiten geringer werden könnten. So kann es bereits diesen Winter zu kurzzeitigen Engpässen oder sogar zu einer Strommangellage kommen. Um einer mangelnden Versorgung vorzubeugen, sind bereits verschiedene Massnahmen getroffen worden. Dazu zählen die Wasserkraftreserve und auch Massnahmen im Gasbereich. Mittel- und längerfristig braucht es dringend einen massiven Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit Fokus auf die Winterproduktion. Es gilt keine Zeit mehr zu verlieren: Ein «Weiter wie bisher» ist keine Option.

Andy Heiz (Axpo): Die Schweiz wird kaum je ihren ganzen Bedarf zu jedem Zeitpunkt allein decken können – das wäre volkswirtschaftlich schlicht zu teuer. Stromimporte werden darum weiterhin wichtig bleiben, auch wenn sie natürlich nicht zu hoch sein dürfen.

Michael Frank (VSE): Das Stromsystem endet nicht an den Landesgrenzen, und der Austausch mit den Nachbarländern kann durchaus systemoptimierend sein. Eine «Strominsel Schweiz» wird es nie geben und würde auch unverhältnismässig viel kosten. Der Energieaustausch mit unseren Nachbarländern ist richtig und wichtig. Eine zu grosse Importabhängigkeit wäre aber mit Risiken verbunden, da diese Möglichkeiten in Zukunft abnehmen könnten – auch die Nachbarländer sind von der europäischen Energiekrise betroffen und stellen ihren Kraftwerkpark um, Stichwort Energiewende. Die Schweiz ist daher gut beraten, ihre Energieunabhängigkeit zu stärken, indem sie die eigene Produktion – vor allem im Winter – durch den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv erhöht.

Andy Heiz (Axpo): Ganz Europa steht vor der gleichen Situation. Überall muss der Zubau beschleunigt werden. Wir sehen im Ausland aber meist ein höheres Tempo, weil die Politik dort mehr Planungssicherheit für die Investoren geschaffen hat. In der Schweiz muss es deutlich schneller vorangehen.

Michael Frank (VSE): Die Umwandlung des Energiesystems auf erneuerbare Energiequellen bedeutet, dass das System volatiler und dezentraler wird. Solarenergie wird dann produziert, wenn die Sonne scheint, und Windkraft gibt es dann, wenn der Wind weht. Diversifizierung wird der Schlüssel sein: Wir benötigen sämtliche erneuerbaren Energiequellen und vor allem Speichermöglichkeiten für die so produzierte Energie, um Versorgungssicherheit für alle – Wirtschaft und Gesellschaft – auch in einem erneuerbaren Energiesystem gewährleisten zu können. Dazu braucht es Massnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Welche das sind, hält der VSE in seiner «Roadmap Versorgungssicherheit» fest.

Andy Heiz (Axpo): Es hilft nicht, eine Produktionsart gegen die andere auszuspielen. Jede hat Vor- und Nachteile. Es gibt nicht die eine Technologie, die alle Probleme lösen wird. Stattdessen müssen sämtliche Produktionsarten zum künftigen Strommix beitragen. Letztes Jahr haben wir einen Vorschlag präsentiert, wie eine klimafreundliche und verlässliche Stromversorgung aussehen kann: Es braucht einen Mix aus verschiedenen Produktionsarten, mit Solarstrom und Wasserkraft als zentralen Trägern. Dazu kommen Wind und Biomasse. Ab etwa 2040 könnten in den Wintermonaten zusätzlich Gaskraftwerke basierend auf CO2-neutralem Gas eingesetzt werden. Wasserstoff und andere Speichertechnologien, beispielsweise Batterien, entwickeln sich ständig weiter und werden in Zukunft helfen, die erzeugte Energie besser übers Jahr zu verteilen. Auch wir forschen in diesen Bereichen und bauen unsere Tätigkeit laufend aus. Auf diesem raschen Ausbau muss unser Augenmerk liegen. Nur so schaffen wir die Energiewende und versorgen Haushalte und Wirtschaft verlässlich rund um die Uhr mit genügend Strom. 

Michael Frank (VSE): Wie erwähnt, endet das Stromsystem nicht an den Landesgrenzen. Das Schweizer Übertragungsnetz ist an 41 Punkten mit dem europäischen verbunden. Wenn es aufgrund von Mangellagen im europäischen Stromnetz zu Strom- bzw. Produktionsausfällen kommt, hat das auch Auswirkungen auf die Schweiz. Auch wenn jeder Staat selbst für den Ausgleich zwischen Verbrauch und Produktion verantwortlich ist, beeinflusst die Abweichung in einem Land auch die anderen Länder. Die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid beobachtet die Situation laufend und muss schnell auf solche Situationen reagieren – sie tut dies schon heute tagtäglich.

Andy Heiz (Axpo): Die Schweiz ist keine Insel, sondern gut vernetzt, was die Stromleitungen angeht. Entsprechend wichtig sind der regelmässige Austausch und die Einbindung der Schweiz in allen länderübergreifenden Gremien. Deshalb braucht es unbedingt ein stabiles Verhältnis zur EU – davon sind wir aber noch ein gutes Stück entfernt. Knappheit im umliegenden Ausland könnte sich aber speziell im Winter sehr negativ auf die Versorgungslage in der Schweiz auswirken.

 Michael Frank (VSE): Versorgungssicherheit funktioniert auch in einem Erneuerbaren-Energien-System. Die Strombranche wird alles daransetzen, dass der Strom in der Schweiz auch in Zukunft in dieser einzigartigen Zuverlässigkeit aus den Steckdosen kommt. Der VSE hat in seiner Roadmap Versorgungssicherheit über 40 umfassende Massnahmen aufgelistet, die dafür nötig sind. Ausserdem führt er eine branchenweite wissenschaftliche Studie durch, die das Gesamtenergiesystem der Schweiz bis 2050 simuliert. Mit der «Energiezukunft 2050» zeigt der VSE anhand dieser Simulation verschiedene realistische Wege in die Energie- und Klimazukunft der Schweiz, die allesamt Versorgungssicherheit garantieren. Die Studienresultate werden Ende dieses Jahres vorliegen.

Andy Heiz (Axpo): Wie vorhin ausgeführt, haben wir einen wirklich zuverlässigen, tragfähigen und umweltfreundlichen Energiemix entwickelt. Mit diesem Mix wird es möglich sein, auf umweltfreundliche Weise Versorgungssicherheit zu gewährleisten – dazu zählt auch das, was Sie als Grundlast bezeichnen. Ich muss aber wiederholen, dass dies nur dann gelingen wird, wenn wir ein deutlich grösseres Tempo bei der Implementierung des besagten Energiemixes einschlagen. Und mit Letzterem, verbunden mit klugen Speichermöglichkeiten, können wir in der Schweiz auch künftig den Energiebedarf decken – davon bin ich überzeugt.

Michael Frank (VSE): Der Ausstieg aus der Kernenergie ist vom Volk 2017 so beschlossen und durch eine repräsentative und unabhängige Umfrage des VSE kürzlich bestätigt worden. Der VSE hat die Versorgungssicherheit im Fokus und ist dabei technologie offen. Eine neue Generation von Kernkraftwerken müsste die negativen Aspekte der alten Generation ausmerzen, namentlich hinsichtlich des strahlenden Abfalls und der Gefahr der Kernschmelze. Doch diese Lösungen gibt es noch nicht, und sie wären bis 2050 auch weder politisch noch praktisch umsetzbar. Versorgungsengpässe drohen uns aber schon viel früher und der Strombedarf wird wegen des Ausstiegs aus den fossilen Energien steigen. Die Diskussion um Kernkraftwerke hilft uns in diesem Zeithorizont also schlicht nicht weiter. Für die Versorgungssicherheit müssen wir die erneuerbaren Energien und dazu passende Speicherlösungen ausbauen. Und zwar mit deutlich mehr Tempo als aktuell. Die Zeit drängt. ◙

Andy Heiz (Axpo): Ich bin sehr dankbar, dass wir in der Schweiz noch Kernkraftwerke in Betrieb haben. Sie verschaffen uns die nötige Zeit, um die Energiewende umzusetzen. Sie sind so lange weiterzunutzen, wie sie sicher und wirtschaftlich betrieben werden können. Ganz wichtig ist mir auch, dass weltweit und in der Schweiz die Forschung im Kernenergiebereich weitergeführt wird. Man weiss nie, was in 10 oder 15 Jahren ist. 

Neue Werke sind kurz- und mittelfristig jedoch keine Option. Bis zur Einsatzfähigkeit würden wohl um die 20 Jahre vergehen, und sie sind gemäss Energiestrategie verboten. Zudem bedeutet ein Kernkraftwerk heutiger Technologie eine Investition von ungefähr 10 Milliarden CHF und unterliegt mit einer Betriebszeit von rund 60 Jahren sehr grossen wirtschaftlichen und politischen Risiken. Das ist für ein Unternehmen wie Axpo – ohne Risikodeckung durch Dritte, respektive den Staat – nicht tragbar. In der Forschung über Technologien der neuen Generation gibt es interessante Ansätze. Zurzeit sind sie aber noch Jahre davon entfernt, Marktreife zu erlangen. Der erste Flüssigsalzreaktor der Welt geht gerade in China in die Praxiserprobung. Laufwellenreaktoren sind vermutlich machbar, existieren derzeit aber nur auf dem Papier. Im Weiteren wird das Umfeld in der Schweiz den Einsatz einer neuen Art Kerntechnologie wohl erst nach längerer Betriebserfahrung im Ausland zulassen. Daher müssen wir die Zeit nun nutzen, um beim Erhalt der Wasserkraft und beim Ausbau der Erneuerbaren voranzukommen – und zwar schnell. ◙

asphaltsuisse Infokasten zu Kernkraft und Windkraft

Was ist ein Flüssigsalzreaktor?

Vorbehalte gegenüber der Kernkraft

Gegenüber der Kernkraft gibt es oft grosse Vorbehalte aus Angst vor Katastrophenfällen. Die Menschen haben dabei meist zwei Szenarien vor Augen: Sie befürchten, dass der Reaktorkern mit den Brennstäben schmilzt oder dass es aufgrund von Gasbildung zu Explosionen kommt. Bei beiden Ereignissen kann radioaktives Material in die Umwelt austreten. Zu einer Kernschmelze kann es kommen, wenn die Kettenreaktion im Reaktor ausser Kontrolle gerät oder der Reaktorkern nicht mehr gekühlt werden kann.

Vorteile des Flüssigsalzreaktors

Die Gefahr einer Kernschmelze und Gasbildung besteht bei einem Flüssigsalzreaktor nicht. Der Brennstoff (Thorium) wird nämlich nicht in Form fester Brennstäbe, sondern als Flüssigkeit in den Reaktorbehälter eingebracht – eine Kernschmelze ist dadurch unmöglich, denn der Kern ist stets flüssig. Auch aus der Tatsache, dass dieser Reaktortyp bei normalem Atmosphärendruck und nicht mit Hochdruck arbeitet, ergeben sich grosse Sicherheitsvorteile.

Eine plötzliche, unkontrollierte Leistungssteigerung, eine Gasentwicklung und Explosion beim Ausfall von Kühlsystemen – wie es sich in Tschernobyl zugetragen hat – sind im Flüssigsalzreaktor technisch und physikalisch ebenfalls nicht möglich. Zudem entstehen keine durch Brennstäbewechsel bedingte Ausfallzeiten: Neues Brennmaterial kann während des Betriebs in Form von zunächst nicht spaltbarem Thorium sicher und beständig nachgefüllt werden. 

Brennstoff

Der Reaktor wandelt das Thorium dann im Laufe der Zeit von selbst in spaltbares Material um. Nur beim ersten Anfahren der Anlage wird eine kleine Menge Plutonium oder angereichertes Uran benötigt, welches, einer Zündflamme gleich, für das Starten der Spaltungsreaktion sorgt. Thorium ist ein häufig vorkommender, kostengünstig verfügbarer Bestandteil der Erdkruste und könnte der Menschheit auf viele Jahrtausende Strom liefern.

Praktische Umsetzung

Der erste Flüssigsalzreaktor ist diesen Sommer in der Volksrepublik China in Betrieb gegangen. Die Technologie wird dort als essenziell für eine dekarbonisierte Energieversorgung angesehen.

Im amerikanischen Wyoming, einem sogenannten Kohlestaat, entsteht ebenfalls eine Anlage – nicht zuletzt, um eine sichere Energiegewinnung ohne Kohle zu demonstrieren.

Was ist ein Laufwellenreaktor?

Laufwellenreaktoren existieren bislang nur in der Theorie, werden von Physikern aber als aussichtsreiche Reaktortechnik eingeschätzt. Laufwellenreaktoren sind prinzipbedingt sehr sicher und benötigen praktisch nur ganz normales, natürliches Uran als Brennstoff, wie es in der Erdkruste oder gelöst in den Ozeanen vorkommt. Auch das verbrannte, abgereicherte Uran aus unseren heutigen Atomkraftwerken kann in diesem Reaktortyp ohne Anreicherung oder chemische Aufbereitung als Brennstoff direkt weiterverwendet werden. 

Wie funktioniert das?

Im Laufwellenreaktor wird in der Mitte eines Behälters, der mit einfachen Uranpellets gefüllt ist, eine Reaktion hervorgerufen, welche das natürliche, nicht spaltbare Uran kontinuierlich zu einem spaltbarem Brennstoff umwandelt. Diese kugelförmige Reaktionszone ist anfangs klein und breitet sich dann über Jahrzehnte kontrolliert sphärisch aus. Die Reaktionszone, die Energie produziert, die so genannte Laufwelle, ähnelt einem Ring – ganz so, wie wenn man einen Stein in den See wirft: Wie im Wasser wird der erzeugte «Wellenring» grösser und breitet sich langsam im Uranbehälter aus. Nur in der sich ausbreitenden, ringförmigen Reaktionszone läuft die Kernspaltung ab. Im Inneren, wo die Reaktion begonnen hat, klingt sie ab, und aussen, wohin sich die Reaktion noch nicht ausgebreitet hat, geschieht ebenfalls nichts. 

Was leistet diese Technologie?

Mit dieser Technologie kann eine kontinuierliche Grundlast an Strom erzeugt werden. Nach Ingangsetzung lassen sich im Laufwellenreaktor keine Leistungsänderungen vornehmen: Die Reaktion läuft langsam, kontrolliert, vorhersagbar und sicher von selbst ab. Ist der Reaktor einmal mit natürlichem Uran befüllt und wurde die Erstreaktion gestartet, produziert ein solcher Reaktor für rund 60 Jahre kontinuierlich Energie. Erst nach diesen 60 Jahren erreicht die Reaktionszone den Aussenbereich des Urans. Die Reaktion klingt aus, das Uran ist (zunächst) verbraucht. Doch ist es damit längst nicht wertlos: Da es noch immer Material enthält, welches Energie liefern kann, lässt sich dieses abgebrannte Uran – vereinfacht gesagt – frisch und gut durchgemischt, ohne jede chemische oder sonstige Wiederaufbereitung oder gar Anreicherung, nochmals im gleichen Reaktor wiederverwenden. Dann produziert dieser zwar weniger und nur für einen kürzeren Zeitraum Energie, dennoch kann der Reaktor nochmals über Jahrzehnte hinweg nennenswerte Energiemengen mit seinem eigenen ursprünglichen Brennstoff erzeugen.

Uranvorkommen auf der Welt

Allein mit der derzeit eingelagerten Mengen an «verbrauchtem» Uran aus allen Atomkraftwerken der Welt, welches in Laufwellenreaktoren direkt wiederzuverwenden wäre, könnte die gesamte Menschheit knapp 1000 Jahre mit Strom versorgt werden.

Geologen schätzen zudem, dass in den Weltmeeren etwa 4,5 Milliarden Tonnen Uran im Meerwasser gelöst vorhanden sind, welches dort keine Funktion im Ökosystem wahrnimmt. Mit diesem Uran könnte der heutige Energiebedarf der Menschheit für rund eine Million Jahre gedeckt werden.

Nachteil

Kurzfristig löst diese Technologie keine Probleme; Reaktoren dieses Typs wurden noch nie gebaut. Es wird also noch Jahrzehnte dauern, bis sie realisiert werden können und bis sich feststellen lässt, ob sie so sicher und gut handhabbar sind und so effektiv funktionieren, wie es die Theorie besagt. Zudem bedeuten solche Anlagen erhebliche Investitionen – und solche tätigen Unternehmen nur dann, wenn garantiert ist, dass die Reaktoren entsprechend lang und ökonomisch sinnvoll betrieben werden dürfen. 

Langfristig könnten diese Technologien allerdings dazu beitragen, den Strombedarf auf Jahrhunderte und Jahrtausende hinaus zuverlässig und sicher zu decken.

Windkraft – eine echte Alternative?

Windkraft wird, speziell im Nachbarland Deutschland, als grosse Chance für eine «Energiewende» bezeichnet. Sie soll dort künftig der Hauptenergielieferant sein. Doch was kann Windenergie wirklich leisten?

Die folgenden Daten beziehen sich auf eine durchschnittliche Windkraftanlage vom Typ ENERCON 2000 mit einer Nennleistung von 1,8 Megawatt, gelten aber ähnlich auch für andere Windkraftanlagen. Tatsächlich Strom für das Stromnetz produziert eine solche Anlage erst ab dem Punkt, an dem sie 50 Prozent (900 Kilowatt) dieser Nennleistung erreicht. Die darunter liegenden, schwankenden Kleinstmengen an Strom werden in der Regel nicht ins Netz eingespeist, da sie zu Problemen bei der Netzsteuerung führen können.

 

Welche Windgeschwindigkeiten braucht es?

Unter 2m/s: Das Windrad kann sich bei dieser Windgeschwindigkeit nicht aus eigener Kraft drehen.

2 m/s bis 5 m/s: Das Windrad kann sich langsam drehen, aber Strom für das Stromnetz produziert es nicht.

6m/s:  Bei 6 m/s produziert die Anlage erst ca. 260 Kilowatt – das ist weniger, als viele Dieselmotoren selbst in Personenwagen produzieren.

8 m/s: 50% Nennleistung werden erreicht Bei 8 m/s erreicht die Anlage dann schon 900 Kilowatt und somit 50 % ihrer Nennleistung. Nun produziert sie Strom für das Stromnetz.

12 m/s: Nennleistung wird erreicht. Bei ca. 12 m/s erreicht die Windkraftanlage bereits ihre Nennleistung von 1,8 Megawatt. Mehr kann die Anlage nicht leisten, auch wenn der Wind noch höhere  Geschwindigkeiten erreichen würde.

22 m/s bis 24 m/s: Entkoppelung. Übersteigt die Windgeschwindigkeit Werte von 22 m/s bis 24 m/s, wird, je nach Anlage, die Belastung der inneren Bauteile so gross,  dass die Anlage entkoppelt  wird und keinen Strom produziert.

 

Wie stellen sich die Windgeschwindigkeiten in der Schweiz dar?

Gemäss «Windatlas» betragen die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten in der Schweiz übers Jahr – in 125 Metern Höhe über Grund und über 99 Prozent der Fläche der Schweiz – meist deutlich weniger als 5,5 m/s.

Das bedeutet: In der Regel mag sich die Anlage an den meisten Tagen vielleicht etwas drehen, sinnvoll nutzbaren Strom produziert sie hingegen nur selten. Jeden Tag verwittert sie jedoch. Der gesamte «grüne Nutzen» ist ebenfalls zu hinterfragen – eine durchschnittliche Windkraftanlage benötigt allein 170 Tonnen Stahl, welcher aus 220 Tonnen Eisenerz mithilfe von 170 Tonnen Koks hergestellt wird. Eine normale Windkraftanlage produziert in ihrer Lebensdauer meist nicht einmal die Energie, die aufgewendet werden musste, um die für sie benötigten Materialien zu gewinnen beziehungsweise herzustellen und die Anlage zu bauen.

Dazu kommt das Müllproblem – etwa bei den Rotorblättern. Diese bestehen aus nicht recycelbaren Materialien: Sie werden heute als Sondermüll auf extra dafür ausgewiesenen Lagerflächen nach der Nutzung vergraben.

Wann produziert eine Windkraftanlage tatsächlich Strom?

Für unser Nachbarland Deutschland besagt der 10-Jahres-Wert, dass lediglich an rund 58 Tagen pro Jahr der Wind im nutzbaren Fenster zwischen 8 m/s und 22 m/s weht und somit nur an diesen Tagen Strom mit Windkraft über Land produziert werden kann. An den restlichen 307 Tagen im Jahr sind die Windkraftanlagen nutzlos und dem Verschleiss ausgesetzt. Für eine tägliche Grundlastproduktion sind sie somit ungeeignet, wenn sie nicht mit einer sinnvollen Speichertechnologie gekoppelt werden. Wollte man mit Windkraft als Hauptenergielieferant den Strom für eine moderne Industrienation produzieren, müsste praktisch gesehen auf jeder freien Wiese, in Wäldern und auf jedem Berg eine Anlage stehen, damit an den 20 Prozent Windtagen die benötigte Energie für die restlichen 80 Prozent der Tage, an denen kein nutzbarer Wind weht, mitproduziert wird. Auch dies würde jedoch eine Koppelung mit einer geeigneten Methode zur Speicherung sowie zum Transport und zur Verteilung der gespeicherten Energie erfordern.

Eine mögliche Speicherart wäre die Umwandlung des mit erneuerbaren Energien produzierten Stroms in Wasserstoff. Dann würden allerdings noch mehr Windkraftanlagen benötigt, denn bei der Speicherung, also der Produktion von Wasserstoff, sowie der Rückumwandlung in Strom werden grosse Mengen Energie verbraucht, die als Verluste verzeichnet werden müssen. Dabei enthält ein Kilogramm flüssigen Wasserstoffs nur etwa 35 Prozent der Energie eines Kilogramms flüssigen Erdgases.

Spannende und verständlich aufbereitete weiterführende Informationen zu diesem Thema können Sie der Videobeitragsreihe «Nachgerechnet» des bekannten Physikers Dr. Hans Hofmann-Reinecke auf YouTube, zum Beispiel hier, zum Thema Windkraft entnehmen: (Link zum Video)

Michael Frank

Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE)

Michael Frank (59) ist seit 2011 Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Er ist Fürsprecher und verfügt über eine breite berufliche Erfahrung in der Elektrizitätswirtschaft und in sich liberalisierenden Märkten. Zuletzt war Michael Frank Leiter Regulatory Management bei der Axpo AG. Davor war er während mehrerer Jahre als Leiter Regulatory Affairs bei Swisscom Fixnet AG und als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Kommunikation tätig.

Andy Heiz

Andy Heiz, Leiter des Geschäftsbereichs Generation & Distribution und stellvertretender CEO der Axpo Holding AG

Andy Heiz, dipl. El.-Ing. ETH und MBA INSEAD, ist seit November 2014 Leiter des Geschäftsbereichs Generation & Distribution und seit 1. Oktober 2019 stellvertretender CEO sowie Mitglied des Executive Board der Axpo Holding AG. Von 2007 bis September 2014 war er bei ABB tätig, zuerst als Head Corporate Strategy, ab 2011 als Head of Product Group Renewables. Davor arbeitete er in verschiedenen Managementfunktionen (zuletzt als Associate Principal) für McKinsey & Company in den USA sowie für ABB Alstom Power in Malaysia und ABB Power Generation in der Schweiz. Andy Heiz ist Mitglied folgender Verwaltungsräte: Axpo Power AG, Kernkraftwerk Leibstadt AG (Präsident), Kernkraftwerk Gösgen AG (Vizepräsident); er ist zudem Mitglied der Kommission des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds für Kernanlagen.

Links: