Erdgas: Alternativlos!

In den letzten Jahren haben viele Anlagenbetreiber ihre Trommelbrenner von Erdöl auf Erdgas umgestellt. Der Grund war, dass der Einsatz von Erdgas deutlich umweltfreundlicher ist. Gas ist somit zu einem enorm wichtigen Energieträger in der Mischgutproduktion geworden. Der Krieg in der Ukraine macht nun offensichtlich, wie unsicher und verflochten die Handels- und Bezugswege für Erdgas auch für Schweizer Verbraucher sind.

Interview mit Thomas Hegglin, Verantwortlicher für die Kommunikation der Schweizerischen Gasindustrie VSG. Er beantwortet Fragen zum Thema Versorgungssicherheit, zu Notfalloptionen und zur Zukunft von Erdgas für Schweizer Verbraucher.

Erdgas ist in der Mischgutproduktion ein derzeit alternativloser Energieträger. Eine Rückkehr zu Öl ist in der Regel ausgeschlossen. Für die Schweizer Mischgutindustrie ist daher eine sichere, konstante Gasversorgung zu planbar vernünftigen Preisen kein Luxus, sondern essenziell, wenn die benötigten Mischgutmengen weiterhin in gewohnt hoher Qualität zu fairen Preisen hergestellt werden sollen.

Thomas Hegglin: Ja, das ist in der Tat so. Wir verstehen selbstverständlich die Besorgnis der Gasverbraucher, und wir versuchen, so gut es uns möglich ist, deren Fragen zu beantworten.

Thomas Hegglin: Die Schweiz beschafft das Gas primär auf den Märkten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich sowie Italien und somit in Ländern der EU. Die Schweizer Gaswirtschaft hat keine direkten Lieferbeziehungen zu Russland. Der Anteil des russischen Gases ist auf den Märkten der Länder, in denen die Schweiz das Gas kauft, unterschiedlich hoch – in Deutschland beispielsweise höher als in den Niederlanden oder Frankreich. Die europäischen Länder und die EU arbeiten mit Hochdruck daran, Abhängigkeiten von russischem Gas zu reduzieren und die Bezugsmöglichkeiten breiter abzustützen. 

Thomas Hegglin: Die Schweiz ist aufgrund ihrer zentralen Lage sehr gut ins europäische Gasfernleitungsnetz eingebunden, was unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit grundsätzlich eine gute Ausgangslage ist. Die Schweiz verfügt auf der Transitgasleitung, die das Schweizer Gasnetz mit Deutschland, Frankreich und Italien verbindet, seit 2017 über Reverse-Flow. Das heisst, Gas kann nicht nur von Norden nach Süden, sondern auch in umgekehrter Richtung fliessen. Auch von Westen her ist die Schweiz gut eingebunden. Alle diese Märkte haben auch Zugang zu Flüssigerdgas (Anmerkung der Red.: mehr Infos dazu im Infokasten). Dies eröffnet zusätzliche Möglichkeiten der Gasbeschaffung, auch wenn LNG teurer ist.

Thomas Hegglin: Ein sofortiger Ausfall der russischen Gaslieferungen wäre in Europa nicht vollständig kompensierbar, jedenfalls nicht kurzfristig und ohne Verbrauchsreduktionen. Die Schweiz hätte in diesem Szenario immerhin einen wichtigen Vorteil, da sie noch Gas aus dem Süden beziehen könnte. Falls in der Schweiz aufgrund von Lieferstopps aus Russland oder einem Gasembargo gegen Russland unerwartet eine Mangellage eintreten sollte, die von der Gasbranche nicht mehr behoben werden kann, trifft die wirtschaftliche Landesversorgung des Bundes notwendige Bewirtschaftungsmassnahmen. Diese beinhalten die Umschaltung von Verbrauchern mit Zweistoff-Anlagen von Gas auf Öl, Sparappelle und die Kontingentierung von Erdgasgrossverbrauchern mit Einstoff-Anlagen.

Thomas Hegglin: Wir befinden uns jetzt am Ende der Heizsaison, und somit geht der Gasverbrauch in der Schweiz stark zurück. Die Versorgungssicherheit in der Schweiz mit Gas erscheint im Moment weitgehend gesichert, und für die Industrie dürfte genügend Gas vorhanden sein, auch wenn sich die Preise auf einem ausserordentlich hohen Niveau befinden. Die grosse Herausforderung ist jedoch, die Gasversorgung für den kommenden Winter zu sichern. Dafür werden vonseiten der Branche und des Bundes grosse Anstrengungen unternommen. Bereits Anfang März 2022 hatte der Bundesrat Massnahmen zur Gasversorgungssicherheit beschlossen. So sollen Gasunternehmen rasch gemeinsam Gas, Gasspeicherkapazitäten, Flüssiggas (LNG) und LNG-Terminalkapazitäten beschaffen können, ohne kartellrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Thomas Hegglin: Aus diesem Grund ist es wichtig, eine Vorsorgeplanung zu machen. Der Entscheid des Bundesrates von Anfang März ermöglicht es der Schweizer Gasbranche, Gas, Gasspeicherkapazitäten, Flüssiggas und Terminalkapazitäten für Flüssiggas zu beschaffen – und zwar gemeinsam. Die Arbeiten der Gaswirtschaft in Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden laufen mit Hochdruck, um die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter sicherzustellen.

Thomas Hegglin: Die Gaswirtschaft will bestehende Abhängigkeiten von russischem Gas reduzieren und mittelfristig ganz unabhängig davon werden. Dabei müssen die Bezugsmöglichkeiten breiter abgestützt werden. Flüssigerdgas spielt hier eine wichtige Rolle, um Gas aus allen Weltregionen zu beschaffen, auch wenn das teurer ist. Die Schweizer Gaswirtschaft wird ein gemeinsames Vorgehen beschliessen, um die anstehenden Herausforderungen anzugehen. 

Thomas Hegglin: Es gibt in der Schweiz Gasspeicher. Diese sind aber klein und dienen nur dem Tagesausgleich. In der Schweiz hat es immer wieder Projekte für grosse Gasspeicher gegeben. Aktuell verfolgt Gaznat in Oberwald im Kanton Wallis ein entsprechendes Projekt. Dabei soll festgestellt werden, ob hier unter den Alpen ein Gasreservoir gebaut werden kann. Vier Kavernen sollen es ermöglichen, rund 1500 Gigawattstunden zu lagern. Oberwald befindet sich einige hundert Meter weit von der Trasse der Gaspipeline Transitgas entfernt, die das Schweizer Erdgasnetz mit Deutschland, Frankreich und Italien verbindet. In der Schweiz Gasspeicher zu bauen, ist aber technisch sehr anspruchsvoll und auch teuer. Da bliebe die Frage, wer das finanziert. Grosse Gasspeicher würden die Versorgungssicherheit aber ohne Frage erhöhen.

Thomas Hegglin: Zur Überbrückung einer Mangellage hat die wirtschaftliche Landesversorgung des Bundes mehrere Massnahmen zur Verfügung: Da wäre die Umschaltung von Zweistoffanlagen auf den Ersatzbrennstoff Heizöl, die bei einer Versorgungsstörung angeordnet werden kann. Die Schweiz verfügt im Weiteren über ein Pflichtlager für Heizöl-extraleicht, das als Erdgasersatz dient. Im Fall einer gleichzeitigen Versorgungsstörung im Mineralölbereich steht dieses per Verordnung für die Zweistoff-Anlagen zur Verfügung. Das Pflichtlager ist auf 4,5 Monate angesetzt. Bei einem Gaslieferstopp werden Sparappelle an alle Gasverbraucher gerichtet mit dem Ziel, den Gasverbrauch auf das absolut Nötige zu limitieren. Im äussersten Notfall müssen der Gasverbrauch kontingentiert oder grosse Erdgasverbraucher abgeschaltet werden. Alle diese Massnahmen dienen der Überbrückung und Stützung des Markts, bis wieder genügend Gas verfügbar ist.

Thomas Hegglin: Wenn eine Mangellage eintritt und die Gaswirtschaft diese nicht mehr aus eigener Kraft beherrschen kann, ordnet der Bund die notwendigen Massnahmen an.

Thomas Hegglin: Das ist im Moment noch offen. Es werden jetzt die Grundlagen geschaffen, um zu definieren, welche Branchen in welchen Umfang von Kontingentierungsmassnahmen betroffen wären. Die notwendigen Durchführungsunterlagen werden jetzt erarbeitet. 

Thomas Hegglin: Kontingentierungsmassnahmen bei Haushalten sind nicht vorgesehen. Der Bund kann jedoch im Fall einer Mangellage Sparappelle aussprechen. Dabei wird auch aufgezeigt, wie Haushalte den Verbrauch an Gas einschränken können. 

Thomas Hegglin: An den europäischen Handelsmärkten stiegen die Erdgaspreise innerhalb eines Jahres von 25 bis 30 Euro/MWh auf aktuell zwischen 76 und 96 Euro/MWh (Stand 20. April 2022). Nach der Invasion der Russen in die Ukraine lag der Preis kurzfristig weit über 200 Euro/MWh. 

Thomas Hegglin: Wie sich die Gaspreise entwickeln, lässt sich nicht sagen. Sie sind sehr volatil aufgrund des Krieges in der Ukraine, eines möglichen Gaslieferstopps von Russland oder eines möglichen Gasembargos der EU-Staaten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Gaspreise hoch bleiben. 

Thomas Hegglin: Erfahrungen zeigen, dass es volkswirtschaftlich schädlich ist, wenn der Staat ins Preisgefüge eingreift. Das gilt auch beim Gas. Von daher spricht sich die Schweizer Gaswirtschaft gegen eine Deckelung der Gaspreise aus. 

Thomas Hegglin: Auf die Schweizer Endkonsumenten wirken sich die höheren Handelspreise unterschiedlich stark aus, was nicht nur von den Beschaffungsstrategien der einzelnen Versorger abhängt. Die Preispolitik der Werke ist sehr unterschiedlich. Das hat auch politische Gründe. So gibt es Werke, die aktuell auf Preiserhöhungen verzichten. Zudem ist der Gaspreis nicht das einzige Kostenelement, das den Verkaufspreis bestimmt. Hinzu kommen Netznutzungsentgelte und öffentliche Abgaben. Somit finden bei den Konsumenten die Erhöhung der Preise nicht im gleichen Verhältnis statt wie im Gashandel. 

Thomas Hegglin: Um die Produktion und Nutzung erneuerbarer Gase in der Schweiz ausbauen zu können, braucht es bessere Rahmenbedingungen. Dabei geht es primär darum, erneuerbare Gase durch Investitionsbeiträge oder Einspeisebeiträge zu fördern. Noch immer wird lediglich die Stromproduktion aus Biogas unterstützt, die der Gasversorgung keinen Nutzen bringt. Auch in den kantonalen Energiegesetzen müssen die Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass Biogas in allen Kantonen als erneuerbare Energie anerkannt wird. Im Weiteren wird importiertes Biogas vom Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit nach wie vor als Erdgas behandelt. Es braucht rasch ein nationales Register für Herkunftsnachweise bei erneuerbaren Gasen, das mit anderen Ländern vernetzt werden kann, sowie klare Regeln für den Import. 

Thomas Hegglin: Manche Kunden haben sich entschieden, zum Heizen ihren Biogasanteil zu erhöhen. Sie sind aber in der Regel ebenfalls von Preiserhöhungen betroffen, da sie den Gasmix ihres Versorgers erhalten. Biogas weist einen ökologischen Mehrwert auf, weil es aus erneuerbaren Quellen stammt. So leisten Biogaskunden einen Beitrag, den CO2-Ausstoss zu senken. Der grösste Teil des in der Schweiz konsumierten Biogases wird mit Herkunftsnachweisen importiert. Je grösser die Nachfrage nach Biogas ist, desto attraktiver wird es, in der Schweiz die Biogasproduktion auszubauen. ◙

Thomas Hegglin

Kommunikationsverantwortliche bei der VSG

Thomas Hegglin (55) ist verantwortlich für die Kommunikation beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie VSG. Im Verband, der 1920 gegründet wurde, sind rund 90 Gasversorgungsunternehmen zusammengeschlossen, die sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befinden. Thomas Hegglin (MA) ist seit über 20 Jahren in der Energiebranche tätig, zuerst im Strombereich, heute in der Gaswirtschaft. Er ist Vater von drei erwachsenen Töchtern und wohnt in Würenlos AG.

Infokasten

Was ist LNG?

LNG ist verflüssigtes Erdgas. Erdgas wird flüssig, wenn es auf –163 °C abgekühlt wird. Das Volumen von LNG beträgt weniger als 0,2 Prozent des ursprünglichen Gasvolumens, sodass es effizient und mit einer hohen Energiedichte transportiert und gelagert werden kann.

Vor der Verflüssigung werden Verunreinigungen wie Wasser, Säuren, andere Flüssigkeiten, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff, Stickstoff und Helium entfernt und das Gas getrocknet. LNG ist ungiftig und verursacht keine Schäden durch Korrosion. Allerdings erfordert es einen höheren Aufwand bei der Lagerung als gasförmiges Methan.

Wie wird LNG transportiert?

LNG wird mit Tankschiffen transportiert. Diese werden in speziellen Anlagen entladen. Danach wird das verflüssigte Erdgas wieder in den gasförmigen Zustand gebracht und ins Leitungsnetz eingespeist. Dieses Verfahren ermöglicht den Transport über weite Distanzen und aus Fördergebieten, die nicht ans internationale Transportnetz angeschlossenen sind. In Europa bestehen knapp 40 solcher Entladeterminals, so unter anderem in Spanien, Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden. Die deutsche Regierung hat bekanntgegeben, zwei LNG-Terminals in Deutschland zu bauen. Dank LNG können Bezugsquellen diversifiziert werden.

Wie gross sind LNG-Tanker?

Die Kapazitäten solcher Tanker liegen oft über 100’000 Kubikmeter, teils sogar über 250’000 Kubikmeter (also über 100’000 Tonnen). Es gibt allerdings auch viel kleinere LNG-Tanker mit Kapazitäten von einigen hundert Tonnen für die Binnenschifffahrt und für Küstenfahrten, etwa von großen Häfen zu kleineren Häfen.

Wie effizient ist LNG?

Der Energieverbrauch eines Tankers beim Transport liegt bei moderner Antriebstechnologie in der Größenordnung von 1 Prozent bis 2 Prozent pro 1000 Kilometer des transportierten Gases unter Berücksichtigung der leeren Rückfahrten. Der Betrieb einer Verdampfungs- und Kompressionsanlage zur Verflüssigung verbraucht ca. 1 Prozent bis 2  Prozent des Energiegehalts des Erdgases.

Welche Bedeutung hat LNG?

Weltweit deckt LNG ca. 25 Prozent der Erdgasbedarfs.

Kann LNG von Exporteuren wie Katar kurzfristig Erdgasimporte aus Russland über Pipelines ersetzen?

Nein. Es gibt weltweit nicht genügend Tankschiffe zum Transport der benötigten Menge. Der Neubau eines Tankers dauert ca. 18 Monate. Auch gibt es nicht genügend Entladeterminals in Europa. Der Neubau solcher Terminals dauert mindestens drei Jahre und ist, gerade in Deutschland, mit erheblichen finanziellen und politischen Risiken behaftet, die einen schnelle Umsetzung von Terminalneubauten unwahrscheinlich machen. Dazu haben Länder wie Katar ca. 90 Prozent ihres LNG-Exportes in langfristigen Lieferverpflichtungen bereits verkauft, sodass nur 10 Prozent auf dem Terminmarkt, wo die Schweiz ebenfalls ihr Gas einkauft, zur Verfügung stünden. An diesen 10 Prozent haben mehrere Länder Interesse. Andere Exporteure sind Australien, was lange Lieferwege bedeutet, oder die USA, die LNG aus dem für die Umwelt kritischen Fracking-Verfahren gewinnen.

Ist LNG teurer als herkömmliche Erdgasimporte?

Ja. Durch den Aufwand der Verflüssigung, des Schifftransportes über weite Strecken und der Notwendigkeit für grosse Terminalanlagen zur Entladung sowie der Rückumwandlung des flüssigen Gases in seinen gasförmigen Zustand zur Einspeisung in das Pipelinenetz ist LNG teurer als sogenanntes Leitungsgas.