Normenänderungen machen den Weg frei für höhere Recyclinganteile

Der Kreislaufwirtschaft ein Stück näher

Wir sprechen mit Aurelio Zucchetti, Vorstandsmitglied bei asphaltsuisse, Ressortleiter für Belagstechnik, Forschung und Normen sowie Mitglied beim VSS (Normierungs- und Forschungskommission 3.9 «Asphaltschichten»), über diese Veränderungen und ihre Auswirkungen auf den ­Arbeitsalltag.

Nach den langen Vernehmlassungsverfahren haben sich einige Normen für den Strassenbau und die Mischgutproduktion geändert. Die wichtigsten Neuerungen bezogen sich dabei auf das Thema Recycling und semidichtes Mischgut.

Aurelio Zucchetti: Die wichtigsten inhaltlichen bzw. technischen Änderungen betreffen die Norm für Asphaltbeton (SN EN 13108-1) und die Norm für semidichtes Mischgut (VSS 40436). Dann gibt es noch Änderungen bei der Norm für die eingebauten Schichten von Walzasphalt (VSS 40430).

Darüber hinaus wurden eher formale Änderungen bei den Normen für Typprüfungen (SN EN 13108-20) und für werkseigene Produktionskontrollen (SN EN 13108-21) vorgenommen.

Aurelio Zucchetti: Die grosse Veränderung bezieht sich im Wesentlichen auf das Thema Recyclingzugaben. Hier haben sich die in den Normen zugelassenen Anteile erhöht. Laut alten Normen waren, ohne besondere Vereinbarungen, ja Recyclinganteile von maximal 70 % vorgesehen.

Aurelio Zucchetti: Naja, auf den ersten Blick vielleicht ja. Aber in der Schweiz fallen durch die Sanierung von Strassen grosse Mengen ausgebauten Asphalts an. Die Recyclingberge werden immer höher. Möchten wir hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft, müssen wir mehr von dem wertvollen Sekundärrohstoff Recyclingasphalt wiederverwenden.

Aurelio Zucchetti: Auf jeden Fall! Die Technik bei den Mischgutanlagen entwickelt sich ständig weiter – Stichwort: Heissgaserzeuger. Auch die technischen Verfahren passen sich an. Die Anlagenbauer suchen ständig nach neuen Wegen und Lösungen, wie mit immer höheren Recyclinganteilen Mischgut von konstant hoher Qualität produziert werden kann. Viele Anlagenbetreiber haben grosse Summen in Umrüstung, Ausbau oder Nachrüstung ihrer Anlagen investiert, um hohe Recyclinganteile verarbeiten zu können.

Aurelio Zucchetti: Ja, denn die Normenänderungen besagen, dass nun durchschnittlich 20 % höhere Recyclingzugaben normenkonform möglich sind.

Aurelio Zucchetti: Die Norm ist keine zwingende Vorschrift, sondern sie definiert nur einen bestimmten Standard. Abweichungen waren bisher schon und sind auch weiterhin möglich. Der Norm nicht immer zu entsprechen, ist daher kein Sprung ins Ungewisse. Nehmen wir als Beispiel die ASTRA – sie baut seit Jahren ACF- und EME-Beläge mit höheren Recyclinganteilen ein, als die Norm vorsieht.

Aurelio Zucchetti: Bei der Definition eines Bauprojekts kann man festlegen, dass der zu verwendende Asphalt einer Norm entsprechen muss. Der Bauherr weiss exakt, was er verlangt und bekommt, und der Lieferant weiss genau, was er liefern muss. Aber es war auch bisher bereits möglich, dass sich Unternehmer und Bauherr darauf einigen, ein nicht normiertes Mischgut zu verwenden. Natürlich würden Mischguthersteller nie ein Produkt ausliefern, das nicht von höchster Qualität und Güte wäre und den Anforderungen nicht gerecht würde. 

Dennoch war und ist der Aspekt, Produkte zu verbauen, die sich ausserhalb der Norm bewegen, sicherlich ein Hinderungsgrund für manche Bauherren, Mischgut mit sehr hohen Recyclinganteilen zu verwenden – auch wenn es technisch möglich gewesen wäre und die Leistung des Mischguts mit hohem Recyclinganteil dem eines Referenzmischguts in nichts nachsteht. Wählt man ein normiertes Produkt, hat man immer das Gefühl, auf der sicheren Seite zu sein.

Aurelio Zucchetti: Zunächst muss ich klar darauf hinweisen, dass diese Erhöhung ein durchschnittlicher Wert ist. Die nach neuer Norm tatsächlich möglichen Recyclingzugaben hängen von einer Reihe von Faktoren ab.

Aurelio Zucchetti: Zum einen ist festgelegt, dass sich die Leistung eines Mischguts mit Recyclinganteil in keinerlei Hinsicht von der eines Referenzmischguts mit frischem Material, also ohne Recyclingzugabe, unterscheiden darf – es wird also nicht unterschiedliche Standards und Anforderungen geben. Das schafft Vertrauen in das Mischgut mit Recyclinganteil – bedeutet aber auch, dass anlagenseitig vielleicht nicht jeder Mischguthersteller die neuen, höheren Anteile verarbeiten kann. Das ist ein Stück weit technologie- und verfahrensabhängig. 

Zudem kann man sagen: Je tiefer sich die Asphaltschicht im Aufbau einer Strasse befindet, desto höher darf der Recyclinganteil sein. Durch die Normenänderungen kann man nun zum Beispiel völlig normenkonform Mischgut für Fundationsschichten aus 100 % Recyclingasphalt herstellen, denn hier wurde der maximale Anteil um 30 % erhöht. Für Tragschichten kann nun 80 % Recyclinganteil normengetreu verwendet werden, und selbst für Deckschichten wurde der normenkonforme Anteil um 10 % erhöht und beträgt nun 40 %. 

Wie viel Recyclingzugabe nach Norm realisiert werden kann, ist also abhängig von der Anlagentechnologie und vom Verwendungszweck des Mischguts. Aber im Grundsatz wurden die nach Norm maximalen Anteile fast durchweg erhöht.

Aurelio Zucchetti: Einige Bereiche sind von der Recyclingverwendung weiterhin ausgenommen, wie zum Beispiel hoch belastete Deckschichten mit AC H und AC MR-Belägen oder semidichter Asphalt (SDA). Hier darf auch weiterhin kein Recyclingasphalt hinzugegeben werden. Und es ist auch immer technologieabhängig: die Anteile für die Kaltzugabe von Recyclingasphalt, also direkt in den Mischer der Anlage, wurden nicht erhöht.

Aurelio Zucchetti: Ich glaube, dass das Vertrauen in Asphalt mit hohem Recyclinganteil deutlich steigen wird, da jetzt völlig normenkonform, ohne die Notwendigkeit von individuellen Vereinbarungen zwischen Bauherren und Lieferanten, Mischgut mit sehr hohen Recyclinganteilen als Standardprodukt verbaut werden kann. Das wird – so hoffe ich – dazu führen, dass in Zukunft noch deutlich mehr ausgebauter Asphalt wiederverwendet wird. Das wäre ein toller Schritt hin zu einer Schonung unserer natürlichen Ressourcen, zu einer stärker geschlossenen Kreislaufwirtschaft in der Asphaltproduktion, und das bei gleichbleibend hoher Produktperformance. 

Aurelio Zucchetti: Ich denke, ja. Generell kann man sagen: Je höher der Anteil einer Komponente in einem zusammengesetzten Produkt ist, desto höher muss die Qualität dieser Komponente sein, wenn das Gesamtprodukt eine hohe Qualität haben soll. Das heisst, dass auch eine gewisse Dynamik bei der Rohstoffaufbereitung in Gang kommen könnte und sich hier nun ebenfalls Fortschritte ergeben. Konstant oder häufig hohe Recyclingzugaben erfordern meiner Ansicht nach ausserdem eine entsprechende Aus- und Weiterbildung beim Anlagenbedienpersonal – denn so grosse Recyclingmengen bedeuten auch, dass andere oder anders modifizierte Bindemittel verwendet werden müssen. Das kann dazu führen, dass sich Forschung und Entwicklung bei den Bindemitteln ändern und beschleunigen und auch hier zu Normenänderungen führen wird. Die Splittlieferanten werden ebenfalls betroffen sein, da bestimmte Mischgutsorten bei hohen Recyclinganteilen ein Ungleichgewicht im Absatz der einzelnen Körnungen verursachen. In unserer Branche ist ja alles miteinander verbunden – Änderungen an einem Punkt haben Auswirkungen auf alle in der Branche.

Aurelio Zucchetti: Semidichter Asphalt ist ein Mischgut für Deckschichten mit einem Hohlraumgehalt, der zwischen dem von Asphaltbeton (AC) und dem von offenporigem Asphalt (PA) liegt. Mit diesem Hohlraumgehalt versucht man, gute Lärmminderungseigenschaften mit einer akzeptablen Nutzungsdauer zu kombinieren.

Aurelio Zucchetti: Die Textur der Oberfläche und der höhere Hohlraumgehalt können zu einer Lärmreduktion führen, wenn Fahrzeuge darüberfahren. Wenn heute Strassen saniert werden und das Thema Lärmreduktion eine Rolle spielt, dann wird häufig als relativ einfache, aber effektiv umzusetzende Lärmschutzmassnahme SDA verbaut. Das betrifft sowohl Kantonsstrassen als auch Autobahnen.

Aurelio Zucchetti: Die Änderungen beziehen sich vorwiegend auf engere Vorgaben bei den Sollwerten der Korngrössenverteilungen sowie – und das ist neu – auf das Mass für die Bindefilmdicke um die Einzelkörner herum, «module de richesse» genannt.

Aurelio Zucchetti: Wie schon gesagt, wird SDA oft dort eingesetzt, wo das Thema Verkehrslärm eine Rolle spielt. Die neuen Vorgaben sollen sich unter anderem positiv auf die akustischen Eigenschaften von SDA auswirken.

Aurelio Zucchetti: Zu SDA muss man sagen, dass der höhere Hohlraumgehalt auch mit einem gravierenden Nachteil einhergeht. Zum Beispiel ist mehr Bindemittel der Oxidation ausgesetzt, und so altert es viel schneller. Während Gussasphalt, also Asphalt ohne Hohlräume, eine Lebensdauer von 30 Jahren und mehr erreichen kann, beträgt die Nutzungsdauer von SDA unserer Erfahrung nach nur zwischen 6 und 10 Jahren. Nach dieser Zeit geht der akustische Vorteil des Belags verloren, und meist ist dann auch mechanisch bereits die Grenze seiner Lebensdauer erreicht.

Aurelio Zucchetti: Ja, genau. Teile der ehemaligen technischen Regel zum SDA sind nun in die Normen für die eingebauten Schichten, für Typprüfungen und für werkseigene Produktkontrolle aufgeteilt und entsprechend thematisch integriert. Grundsätzlich kann man sagen, dass semidichter Asphalt nun seine definitive Positionierung im VSS-Normenwerk gefunden hat.

Aurelio Zucchetti: Das ist eine gute Frage. Die Anforderungen an den Split 2/4 für Kantonsstrassen sind nun höher. Das könnte zu Lieferproblemen bei den Splittlieferanten führen, ja.

Aurelio Zucchetti: Das ist korrekt. Und zwar gibt es nun definierte Anforderungen und Empfehlungen an die Eigenschaften von rückgewonnenen Bindemitteln. Bisher hatte da fast jeder Bauherr und jeder Kanton seine eigenen Vorschriften. Mit dieser Normierung sind jetzt die Grundlagen für eine übergreifende Harmonisierung geschaffen.

Aurelio Zucchetti: Recycling ist enorm wichtig – aus den eben angesprochenen Gründen. Ausgebauter Asphalt ist ein wertvoller Sekundärrohstoff, der einen grossen Beitrag zu einer sich immer weiter schliessenden Kreislaufwirtschaft leisten kann. «Tue Gutes und rede darüber» ist ein bewährter Grundsatz bei Neuerungen. Wir müssen jetzt aktiv kommunizieren, dass es nun Mischguttypen mit sehr hohen Recyclinganteilen gibt – und dass diese jetzt normiert sind und den gleichen Leistungsanforderungen genügen wie das Referenzmischgut …

Aurelio Zucchetti: Darauf wollte ich gerade hinaus: Wir sind sehr froh über die jetzigen Fortschritte – sie gehen klar in die richtige Richtung. Aber wir hätten uns gewünscht, dass direkt ein in unseren Augen überfälliger Schritt getan worden wäre, nämlich die Abkehr von Normen nach Inhalt zugunsten einer konsequenten Hinwendung zu rein leistungsbasierten Normen. Wenn das, was am Ende zählt – nämlich die nachgewiesene Performance eines Produktes –, die gestellten normierten Anforderungen erfüllt, sollte es keine Rolle spielen, wie das Produkt produziert wurde oder wie sich seine Komponenten zusammensetzen, was seine Inhalte genau in welchem Verhältnis sind. Aber alles braucht seine Zeit, und vielleicht ist das in einem nächsten Schritt möglich … ◙

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Aurelio Zucchetti

Vorstandsmitglied bei asphaltsuisse, Ressortleiter für Belagstechnik, Forschung und Normen

Aurelio Zucchetti (43) ist in Ausbildung Erdwissenschaftler (ETH). Er arbeitet seit 2014 bei COMIBIT SA als Produktionsleiter und ist Vorstandsmitglied bei asphaltsuisse, Ressortleiter für Belagstechnik, Forschung und Normen sowie Mitglied beim VSS (Normierungs- und Forschungskommission 3.9 «Asphaltschichten»). Er ist verheiratet, hat 3 Kinder, und liebt es, die Berge in all ihren Formen und Farben zu erleben.

Infokasten

Erwähnt wird das Wort Recycling in verschiedenen SN und EN Normen. Spezifisch auf das Asphaltmischgut und Asphaltrecycling bezogen finden wird Hinweise in den nachfolgenden SN und EN Normen:

SN 640 420 Asphalt-Grundnorm
mit Hinweis zu Recyclingmischgut

VSS 40 430 Walzasphalt-Konzeption, Ausführung und Anforderungen an die eingebauten Schichten
Hinweise auf Ausbauasphalt für Sperrschicht im Gleisbau.

SN EN 13108-1 Asphaltmischgut-Mischgutanforderungen – Teil 1: Asphaltbeton
Mit Hinweis zu den zulässigen Zugabemengen von Ausbauasphalt in Abhängigkeit der Schichten und Verfahren.
Eine höhere Zugabemenge ist zulässig, wenn eine Vereinbarung zwischen Unternehmer und Bauherr vorliegt.

SN EN 13108-8 Asphaltmischgut-Mischgutanforderungen – Teil 8: Ausbauasphalt
Kein Hinweise zu den Zugabemengen, sondern es werden die Anforderungen an den Ausbauasphalt wie Anteile an Fremdstoffen, Bindemittelart, -eigenschaften und -gehalt, sowie an die Gesteinskörnungen wie Korngrössen-verteilung, gebrochener Anteil und Stückgrössen vorgebeben. Auch ist in dieser Norm die Prüfhäufigkeit des eingesetzten Ausbauasphaltes in Abhängigkeit der Zugabemenge von Ausbauasphalt im neuen Asphaltmischgut. 

SN EN 13108-20 Asphaltmischgut-Mischgutanforderungen – Teil 20: Typprüfung (ehemals Erstprüfung)
Kein Hinweise zu den Zugabemengen, diese müssen jedoch deklariert werden und eine Familienbildung ist nur
in einer Bandbreite möglich. Auch wird noch klar unterschieden, dass das gleiche Mischgut mit RA und jenes
ohne RA nicht als Familienbildung gelten darf und somit separate Typprüfungen erstellt werden muss.

SN EN 13108-21 Asphaltmischgut-Mischgutanforderungen – Teil 21: Werkseigene Kontrolle (WPK)
Bei Verwendung von Ausbauasphalt werden züsatzliche Prüfungen festgelegt (Eigenschaften des Rückgewonnenen Bitumens)